Patenschaftsmodell Offenbach: „Ich will Herrn Fritschi stolz machen“

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Originalartikel aufrufbar (Stand: 04.07.2023, Erstellt: 28.06.2023, 16:00 Uhr, Von: Veronika Schade) unter: https://www.op-online.de/offenbach/patenschaftsmodell-offenbach-ich-will-herrn-fritschi-stolz-machen-92368034.html

Von: Veronika Schade

Seit 2004 gibt es in Offenbach das Patenschaftsmodell: So werden Schülern etwa kostenlose Nachhilfestunden angeboten und so neue Perspektiven eröffnet.

Offenbach – Nachhilfestunden hat Sibgha viele genommen, bei mehreren Anbietern, bei unterschiedlichen Lehrern. Trotzdem sah es vor einigen Jahren noch so aus, als würde sie den Hauptschulabschluss nicht schaffen. Besonders Mathe bereitete ihr Probleme – aber auch ihre ganze Einstellung. „Ich machte keine Fortschritte, bekam in der Schule immer gesagt, das würde eh nichts“, blickt die 18-Jährige zurück.

Jetzt besucht sie die elfte Klasse und hat ihr Abitur fest im Blick. Wem sie das zu verdanken hat, ist für sie klar: „Meinem Nachhilfelehrer Herr Fritschi beim Patenschaftsmodell Offenbach“, sagt sie und strahlt. „Den will ich stolz machen.“

In der siebten Klasse wurde sie an die Nachhilfe des PMO vermittelt. Zweimal wöchentlich lernte sie fortan mit Torsten Fritschi. „Er hat mir mit viel Geduld die Rechenwege aufgezeigt und mir Mut gegeben, immer weiterzumachen. Und er hat mir erklärt, welches Bild Lehrer von mir haben, so dass ich auch sie besser verstehen konnte“, berichtet Sibgha über die Eins-zu-Eins-Betreuung.

Das Patenschaftsmodell Offenbach: „Man wird gefördert, ernst genommen und motiviert“

Konzentriert beim Lernen: Viktoria (links) und Sibgha konnten dank Nachhilfe ihre Noten stark verbessern. © Schade

Konzentriert beim Lernen: Viktoria (links) und Sibgha konnten dank Nachhilfe ihre Noten stark verbessern. © Schade

Sie schaffte einen qualifizierten Hauptschulabschluss, danach den Realschulabschluss an der Schillerschule. Mittlerweile geht sie in Hanau aufs Gymnasium, will aber auf die Nachhilfe in Offenbach nicht verzichten. „Nach der zehnten Klasse habe ich sogar ein Stipendium bekommen. Man wird wirklich gefördert, als Mensch ernst genommen und motiviert, ich kann es jedem empfehlen.“

Die Nachhilfe ist eine von drei Säulen des PMO, das 2004 ins Leben gerufen wurde. Ziel ist, benachteiligte Jugendliche zu unterstützen – im Schulalltag und auf dem Weg in die Berufswelt. Nachhilfekoordinatorin Drazenka Vecerin weiß um die vielen Probleme der Kinder und Jugendlichen in Offenbach, die durch die Coronakrise nochmals verschärft worden seien: „Die Pandemie hat so viele Schüler nach hinten geworfen, das aufzuholen ist nahezu unmöglich. 30 Prozent werden keinen Hauptschulabschluss schaffen. Das wird auf dem Arbeitsmarkt deutlich spürbar sein und der Gesellschaft lange nachhängen.“

Fundamentale Defizite bei Schülern sollen mit dem Patenschaftsmodell Offenbach behoben werden

Homeschooling habe bei ihnen wegen beengter Wohnverhältnisse, fehlender technischer Ausstattung und unzureichender Unterstützung nicht funktioniert – viele Offenbacher Schüler seien nicht einmal in der Lage, eine E-Mail zu schreiben.

Da die meisten der Jugendlichen ausländische Wurzeln haben oder als Flüchtlinge gekommen sind, fehlen ihnen teils elementare Sprachkenntnisse. „Manche lernen zwei Jahre nur Deutsch und kommen nie in reguläre Klassen“, so Vecerin. Auch sie stünden am Ende ziemlich verloren da. „Es sind so viele kleine, einzelne Schicksale, die uns aber alle brauchen.“

Dass alle Schüler ihre Stärken haben, durch gezielte Förderung einen Abschluss erreichen und einen Ausbildungsplatz finden können, davon ist das Team rund um Projektleiter Jörg Meyer überzeugt. Paten und Nachhilfelehrer arbeiten ehrenamtlich und mit viel Herzblut. Alle Paten, Menschen aus Wirtschaft, Bürgerschaft und Industrie, haben einen fest zugeteilten Jugendlichen. Als Mentoren pflegen sie bis zu zwei Jahre regelmäßigen Kontakt, unterstützen ihn bei der Sozialisation und geistigen Reifung sowie beim Berufseinstieg – von der Praktikumsplatz-Suche bis hin zum Bewerbungsschreiben.

Das Patenschaftsmodell Offenbach: Mentoren unterstützen sozial benachteiligte Jugendliche

Das PMO wurde 2004 als Kooperationsprojekt zwischen der evangelischen Kirche (Pfarrstelle Gesellschaftliche Verantwortung des Evangelischen Dekanats Offenbach) und dem Jugendamt der Stadt Offenbach (KJK Sandgasse/Jugendberatung und -projekte) gegründet. Seit Kurzem ist es im Ostpol ansässig, Hermann-Steinhäuser-Straße 43-47.

Freiwillige aus Wirtschaft, Bürgerschaft und Industrie schenken jungen Menschen aus sozial benachteiligten Milieus als Mentoren ihre Zeit und ihr Engagement. Die jungen Menschen erhalten Begleitung und Unterstützung auf dem Weg in die Berufswelt. 27 eingetragene Paten begleiten Jugendliche aus den 8. und 9. Klassen der allgemein bildenden Schulen. Weitere Säulen sind Nachhilfe und Inklusion.

Es besteht auch die Möglichkeit eines Stipendiums: Ein Jahr lang 100 Euro monatlich und ein Laptop sollen die Jugendlichen dabei unterstützen, ihren Realschulabschluss zu machen. Infos im Internet: patenschaftsmodell-of.de

Mathe wird im Patenschaftsmodell Offenbach am stärksten nachgefragt

Wo und wann sie sich treffen, ist dem jeweiligen Gespann überlassen. Die Nachhilfe dagegen findet mittwochs und freitags im Ostpol statt. Auch dort ist jede Verstärkung willkommen, wenn Fachwissen vorliegt. „Mathe wird am stärksten nachgefragt“, weiß Vecerin, „aber auch Deutsch und Englisch.“

Seit acht Jahren ist Torsten Fritschi als Nachhilfelehrer dabei, wurde vom Freiwilligenzentrum vermittelt. Der diplomierte Physiker arbeitete in der IT, versuchte vor einigen Jahren bereits einen Quereinstieg als Lehrer. „Damals wurde ich wegen meines Alters abgelehnt“, sagt der 58-Jährige.

Doch sein Physikwissen zusammen mit dem Engagement beim PMO zahlten sich schließlich aus: Seit anderthalb Jahren ist er Physiklehrer an der Albert-Schweitzer-Schule. Weiterhin Nachhilfe zu geben, ist für ihn selbstverständlich: „Da hole ich mir meine Anerkennung ab“, schmunzelt er. „Darin, dass die Schüler ihre Noten verbessern und gern herkommen. Das macht ihre und meine Welt etwas besser.“ Für ihn sei das auch eine Sinnfrage. „Die ist hier stark gegeben.“

In Zusammenarbeit mit der IHK gibt das Patenschaftsmodell Offenbach auch Bewerbungstraining

Auch die 16-jährigen Freundinnen Viktoria und Keziban konnten ihre Noten deutlich verbessern. „Ich habe meinen Realschulabschluss geschafft, hatte in Deutsch eine 3, in Mathe eine 4 und in Englisch sogar eine 2“, freut sich Viktoria, die bald ihr erstes Vorstellungsgespräch für eine Ausbildung zur Hotelfachfrau hat. „Ich bin aufgeregt, fühle mich aber gut vorbereitet, weil wir das geübt haben.“ In Zusammenarbeit mit der IHK gibt es jedes Jahr ein ganztägiges Bewerbungstraining.

Keziban ist in der neunten Klasse, hat noch ein Jahr bis zum Realschulabschluss. Als sie angefangen hat, stand sie in Englisch bei Note 5, nun bei einer 2. „Die Lehrer sind so nett, man kann sie alles fragen, es ist nicht schlimm, wenn man es nicht gleich versteht. Viel weniger stressig als in der Schule.“ (Veronika Schade)

Mit freundlicher Genehmigung der op-online veröffentlicht.
Originalartikel aufrufbar (Stand: 04.07.2023, Erstellt: 28.06.2023, 16:00 Uhr, Von: Veronika Schade) unter: https://www.op-online.de/offenbach/patenschaftsmodell-offenbach-ich-will-herrn-fritschi-stolz-machen-92368034.html

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